Die Kämpfe direkt auf dem Gelände des ukrainischen AKW Saporischschja sind besorgniserregend. Kein Atomkraftwerk ist für Krieg ausgelegt. Die Reaktoren vom russischen Typ WWER-1000/320 verfügen über ein Volldruck-Containment. Sie sind damit etwas besser geschützt als die Mochovce- oder Tschernobyl-Reaktoren. Ein Treffer mit Raketen oder Panzerbeschuss könnte aber Teile des AKW beschädigen und die Strom- und Kühlwasserversorgung zerstören. Dies hätte fatale Konsequenzen.

Das ukrainische AKW Saporischschja ist mit sechs 950 Megawatt-Reaktoren das größte Atomkraftwerk in Europa. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine waren die alten Reaktoren aus den 1980er-Jahren in schlechtem Zustand. Ein GLOBAL 2000-Lokalaugenscheinexternal link, opens in a new tab im Jahr 2015 zusammen mit den ukrainischen Kolleg:innen bestätigte die “erschreckende” Lagerung von Atommüll unter freiem Himmel. 2020 deckte ein Whistleblowerexternal link, opens in a new tab auf, dass die 20 Notstrom-Dieselgeneratoren schlecht gewartet sind. Während eines Notfalls könnten diese jederzeit versagen.

Angaben zum Reaktor sowie Zwischenfälle und Störfälle des AKW Paks finden Sie hier: Atomkraft in der Ukraine.

Militärische Eroberung des AKW und fortlaufende Kämpfe

Nach Beginn des Kriegs im Frühjahr 2022 wurde zum ersten Mal in der Geschichte ein Atomkraftwerk beschossen und eingenommen. In der Nacht vom 3. auf den 4. März 2022 griffen russische Truppen das AKW Saporischschja an. Die ukrainischen Wachmannschaft verteidigte das AKW. Das mehrstündige Feuergefecht mit schweren Waffen verursachte gefährliche Beschädigungenexternal link, opens in a new tab an der Atomanlage. Unter anderem am Gebäude von Reaktor 1 und am Transformator von Reaktor 6. Mehrere Artilleriegeschosse schlugen gefährlich nahe an Reaktor- und Atommüllgebäuden ein. Bei dieser gewaltsamen Eroberung des AKWs verhinderte nur Glück eine schwere Nuklearkatastrophe. Ein solches Szenario könnte durch den Ausfall der Kühlung der Reaktoren oder der Abklingbecken für hochradioaktiven Atommüll jederzeit eintreten.

Atomkraft im Krieg

Russische Truppen besetzen bis heute die Anlage. Währenddessen betreiben ukrainische Techniker:innen unter der Überwachung des russischen Staatskonzerns Rosatom weiterhin mehrere Atom-Reaktoren. Es fehlt an Ersatzteilen, an Wartungsmöglichkeiten und Routine-Kontrollen durch die Atomaufsicht. Außerdem kann die Bedienmannschaften unter dem militärischen Druck nicht ungestört arbeiten. Bei einem Zwischenfall oder Unfall könnten keine Katastrophen-Maßnahmen eingeleitet werden. Eine nationale Koordinierung, wie in Japan nach der Fukushima-Katastrophe, wäre nicht möglich. 

GLOBAL 2000 fordert aus Sicherheitsgründen die sofortige Abschaltung der noch laufenden Reaktoren in Saporischschja.

Open-Source Intelligence-Analysen von Satellitenbildern belegen, dass russische Militäreinheiten das AKW-Gelände nach der Eroberung als Waffenstützpunktexternal link, opens in a new tab ausbauten. Im Juli 2022 griffen ukrainische Militärs mit einer Kampfdrohneexternal link, opens in a new tab russische Einheiten direkt auf dem Gelände des AKW an. Mehrere Soldaten wurden getötet. In Folge wurden russische Einheiten und auch Panzerfahrzeuge näher an Reaktorgebäude und in das Gebäudeexternal link, opens in a new tab von Reaktor 1 verlegt. Ein völlig inakzeptabler Umstand für die Hochrisikotechnologie Atomkraft.

AKW unter Beschuss

Raketenangriffe zerstörten am 5. und 6. August 2022 kritische Infrastruktur des AKW: Raketen beschädigten eine Hochspannungsleitung, ein Reaktor musste notabgeschaltetexternal link, opens in a new tab und durch Notstrom-Dieselgeneratoren versorgt werden. Raketen landeten neben dem Umspannwerkexternal link, opens in a new tab des AKWs. Bei dessen Ausfall wäre die gesamte Anlage von Notstrom-Dieselgeneratoren abhängig. Seit Jahren ist der technische Zustand der Notstrom-Dieselgeneratoren besorgniserregend. Eine Rakete verfehlte knapp den unter freiem Himmel in 174 Beton-Behältern gelagerten Atommüll.

Welche Auswirkungen hätte ein Unfall?

Im schlimmsten Fall eines Super-GAUs in Saporischschja würde der Reaktor zwar nicht wie 1986 in Tschernobyl explodieren und brennen. Dennoch sind die Reaktoren über 30 Jahre alt und damit jenseits ihrer technischen Auslegung in Betrieb. Die Reaktortypen aus den 1980er Jahren in Saporischschja würden beim Ausfall der Kühlung eine Kernschmelze erleiden. Genauso wie die vier Reaktoren in Fukushima 2011. Der hochradioaktive Atommüll in den Abklingbecken der sechs Reaktoren könnte bei Verdampfen des Kühlwassers große Mengen Radioaktivität freisetzen. Ein Radius um die Reaktoren von je nach Windrichtung bis zu hunderten Kilometern wäre von radioaktivem Fallout betroffen und nicht mehr bewohnbar. Menschen und Tiere wären betroffen. Verstrahlung und schwere Krankheiten wären die Folgen.

Eine weitere Nuklear-Katastrophe mitten in Europa wird aber auf alle Fälle massive Auswirkungen auf die schon belastete Bevölkerung und Ernährung verursachen. Ganz zu schweigen von den teuren und großteils ungelösten Bergungsarbeiten für geschmolzene Reaktorkerne.

Sanktionen gegen Atom-Konzern Rosatom nötig

Rosatom ist direkt der russischen Regierung unterstellt. Rosatom kontrolliert, als integriertes Unternehmen in Staatsbesitz, sowohl die russischen Atomwaffen als auch den Bau von Reaktoren. Über Subfirmen hat Rosatom die Wartung von Reaktoren und Brennstoff-Lieferungen über.

Rosatom agiert im AKW Saporischschja regelrecht als „nuklearer Freibeuter“, ist aber weltweit und auch in der EU weiterhin als Atom-Großkonzern tätig. Neben Atom-Brennstofflieferungen für alte Reaktoren wie das AKW Mochovce, will Rosatom auch das geplante ungarische AKW-Projekt Paks II weiter durchziehen. Ein Rosatom-AKW-Projekt in Finnlandexternal link, opens in a new tab wurde nach Kriegsbeginn bereits beendet.

GLOBAL 2000 fordert :

GLOBAL 2000 ist mit den ukrainischen und russischen Kolleg:innen der Friends of the Earthexternal link, opens in a new tab-Partnerorganisationen und anderen Umweltgruppen in Kontakt. Gemeinsam wenden wir uns mit Aktionenexternal link, opens in a new tab an österreichische Regierungsvertreter:innen, die EU und die Internationale Atomenergieorganisation IAEO.