26.04.2021

Neue Gentechnik: Produkte und Profiteure

Viele leere Versprechen seitens der Agrarkonzerne, von denen wiederum nur sie selbst profitieren – das bringt die Neue Gentechnik.

Cover "Neue Gentechnik: Produkte und Profiteure"

GLOBAL 2000 / Christopher Glanzl

Die Antwort der Chemie- und Saatgutindustrie auf die Klimakrise in der Landwirtschaft ist die Neue Gentechnik. Damit will sie das bestehende Agrarmodell aber nur nach außen hin etwas "grüner" erscheinen lassen. Das zumindest lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass Verfahren wie CRISPR/Cas eine regelrechte Patentierungswelle ausgelöst haben.

Lesen Sie in unserer aktuellen Studie zu den Produkten und Profiteuren der Neuen Gentechnik, was sich hinter den Versprechungen der Chemie- und Saatgut-Konzerne verbirgt.

Leere Versprechen und zweifelhafte Lifestyle-Produkte

Weltweit werden erst zwei Pflanzen, die mittels Neuer Gentechnik entwickelt wurden, kommerziell angebaut: herbizidresistenter Raps und eine Sojasorte, deren Öl weniger gesundheitsschädliche Transfette enthält – beide von US-Agrarkonzernen entwickelt. Stärkehaltiger "Wachsmais", ebenfalls aus den USA, soll demnächst auf den Markt kommen und in Japan wurde im Jänner 2021 eine erste "CRISPR-Tomate" zugelassen. In dieser Sorte wurde ein Inhaltsstoff vermehrt, der blutdrucksenkend wirken soll. Ein solcher Eingriff ins Erbgut einer Pflanze kann aber neben den gewollten auch zu ungewollten gesundheitlichen Folgen führen.

Mit CRISPR/Cas gelang es 2018 bestimmte Gluten-Eiweißstoffe gentechnisch zu manipulieren und damit "glutenfreien Weizen" herzustellen. Dazu wurden 35 von 45 Genen quasi „ausgeschaltet“, was eine tiefgreifende Veränderung des Weizenerbgutes darstellt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kommt in einer aktuellen Stellungnahme zum Schluss, dass solche Pflanzen einer eingehenden Risikoprüfung unterzogen werden müssen, da derartig komplexe Veränderungen über das hinausgehen, was bisher mit Pflanzenzüchtung oder der klassischen Gentechnik möglich war.

Eine der ersten mittels CRISPR/Cas veränderten Pflanzen war übrigens ein "nicht-bräunender Champignon", der länger frisch aussieht. Der glutenfreie Weizen und der nicht-bräunende Pilz werden bislang noch nicht kommerziell vermarktet.

CRISPR/Cas ermöglicht es also, Pflanzen eine Vielzahl an gewünschten Eigenschaften zu verleihen. Dazu gehört auch die vielgepriesene Trockenheitstoleranz, die die Pflanze gegen langandauernde Dürreperioden unempfindlich machen soll. Dazu bedarf es jedoch einer Vielzahl an Eingriffen in die Pflanzenzelle, die teils noch gar nicht vollständig erforscht wurde. Eine Analyse der derzeitigen Anwendungen von CRISPR/Cas zeigt jedenfalls, dass mit "klimaangepassten" Pflanzen vorläufig nicht zu rechnen ist.

Mit den angestrebten Eigenschaften, wie etwa einer veränderten Fettsäure oder einem erhöhten Ballaststoffgehalt, nehmen Unternehmen die zahlungskräftige Kundschaft reicher Industrienationen ins Visier, die bereit ist, für vermeintlich "gesündere Produkte" mehr Geld auszugeben. Leider sind sie tatsächlich nur vermeintlich gesünder, denn nach wie vor weit verbreitete Herbiziresistenzen machen den Einsatz von Pestiziden weiterhin unverzichtbar. Das Versprechen der Konzerne, dank Neuer Gentechnik den Pestizideinsatz zu reduzieren, rückt damit in weite Ferne. Wer von der Neuen Gentechnik profitiert, ist jedoch klar: Es sind wieder einmal nicht die die Landwirtschaft und die Konsument:innen selbst, sondern die Konzerne, die die Produkte auf den Markt bringen.

Wer profitiert? Nicht die Landwirtschaft, sondern – mal wieder – das Agrobusiness 

Nach zahlreichen Großfusionen am Agrochemiesekor – Bayer kaufte Monsanto, ChemChina übernahm Syngenta, Dow und DuPont fusionierten – regulieren weltweit immer größere Chemie- und Saatgutriesen den Sektor. Dasselbe gilt für die Anzahl von beantragten und bereits erteilten europäischen Patenten auf Anwendungen der Neuen Gentechnik. Konzerne lassen sich Gentechnikverfahren patentieren. Dabei geht‘s nicht nur um die Technologie selbst, sondern auch um das damit erzeugte Saatgut – und in vielen Fällen auch um fertige Lebensmittel.

Das Geschäftsmodell der Konzerne ist auf der Nutzung geistiger Eigentumsrechte aufgebaut. CRISPR/Cas ist kein «demokratisches» Verfahren für den Mittelstand, sondern Big Business für die Großen. Jedes Unternehmen, ob klein oder groß, das die Technologie nutzen will, muss zuerst mit dem Patentinhabern verhandeln und Lizenzen zahlen. Das können sich kleinere Pflanzenzuchtbetriebe nicht leisten. Konzerne wie Bayer (Monsanto) und Corteva (DowDuPont) haben mit den Erfindern teilweise exklusive Lizenzverträge abgeschlossen. Das große Versprechen, CRISPR/Cas sei eine „demokratische“ Methode, die auch mittelständische oder kleine Züchter nützen können, wird damit eindeutig zur Farce. Für Bäuerinnen und Bauern bedeuten die Patente steigende Saatgutpreise, eine beschränkte Sortenauswahl und neue Abhängigkeiten.

Wem gehören die Pflanzen aus Neuer Gentechnik?  

Das wichtigste Verfahren der Neuen Gentechnik ist CRISPR/Cas, das bei 68,5 Prozent der neuen gentechnisch veränderten Pflanzenexternal link, opens in a new tab zum Einsatz kommt. Der Agrarmulti Corteva, der aus der Fusion von Dow AgroSciences und DuPont/Pioneer entstanden ist, vereint einen Pool von rund 50 Patenten auf CRISPR-Pflanzenexternal link, opens in a new tab und verfügt dadurch über eine enorme Marktmacht. Wer die CRISPR-Technologie kommerziell nutzen will, muss teure Lizenzenexternal link, opens in a new tab beantragen.

Sehr viele Patentanträge zielen bewusst darauf ab, die biologischen und technischen Unterschiede zwischen Neuer Gentechnik und traditioneller Züchtung zu verwischen. So will man Schritt für Schritt die Reichweite der Patente auf letztere ausweiten. NGT-Pflanzen sollen von der Europäischen Kommission als "natürlich" definiert werden, damit wissenschaftliche Risikoprüfungen und  Kennzeichnungspflicht umgangen werden können.

Lobby-Millionen für das Aufweichen des EU-Gentechnikrechts

Seit 2018 sind für die Lobbyarbeit zur Deregulierung des EU-Gentechnikrechts mindestens 36 Millionen Euro aufgewendet worden. Da viele Konzerne jedoch teilweise unvollständige Angaben über ihre Ausgaben für Lobbyarbeit machen, liegt die tatsächliche Zahl jedoch vermutlich deutlich höher. Darüber hinaus wurden der Gentech-Lobby seit 2018 sagenhafte 182 Treffen mit EU-Kommissar:innen, deren Kabinetten und Generaldirektor:innen gewährt. Das ist mehr als ein Treffen pro Woche. Die intensive „Bearbeitung“ der Entscheidungsträger:innen dürfte Früchte tragen: Die Europäische Kommission scheint dazu bereit zu sein, die Forderungen der Lobbyist:innen nach Aufweichung der aktuellen Gesetzgebung und der Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für Neue Gentechnik nachzukommen.

Expert:innen fordern, dass die Pflanzenzüchtung zum Wohlergeben der Gemeinschaft zu organisieren sei. Angesichts der Klimakrise gehört die "Anpassungsfähigkeit" der Landwirtschaft gestärkt. Dass Pflanzenzüchtung allein durch Selektion am Feld robuste, geschmackvolle Sorten hervorbringt und auch ohne Gentechnik auskommt, beweisen zahlreiche Anwendungen, die einfach noch weiter ausgebaut und gefördert gehören.

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