Agrarpolitik wird in Brüssel gemacht
Landwirtschaftlich genutzte Böden bestimmen das Landschaftsbild der EU – es sind 155,7 Millionen Hektar, rund 38 % der gesamten Fläche. Weidende Schafe in Irland, Weinberge in Frankreich, riesige Getreidefelder in Ostdeutschland und kleinste Betriebe in Rumänien. Europas Landwirtschaft ist vielfältig in jeder Hinsicht. Bewirtschaftet wird die Fläche von etwas unter zehn Millionen Betrieben. Trotz dieser Vielfalt wird Agrarpolitik nicht in den Mitgliedsstaaten gestaltet, sondern am EU-Sitz in Brüssel. Kein anderer Wirtschaftsbereich ist in der Europäischen Union so stark durch gemeinschaftliche Regeln geprägt wie die Landwirtschaft – sie unterliegt der Gemeinsamen Agrarpolitik, kurz „GAP“. Ihre Ziele und Aufgaben wurden erstmals 1957 festgelegt, vor über sechzig Jahren.
Die anfangs aus nur sechs Ländern bestehende Staatengemeinschaft wollte die Menschen im zerstörten Nachkriegseuropa mit genügend Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen versorgen. Das Ziel der Selbstversorgung hat die GAP innerhalb kürzester Zeit erreicht. Schon in den 1970er-Jahren produzierten die Bäuerinnen und Bauern in der EU mehr Nahrungsmittel, als gebraucht wurden. Die Verlockungen sicherer Preise und Einkommen zeigten ihr negatives Gesicht: Die Zeit der Butterberge, Milchseen und spektakulären Obstvernichtungen in den südlichen Mitgliedsländern begann. Zugleich sorgten Exportsubventionen für eine künstliche Verbilligung, um die Waren auf dem Weltmarkt loszuschlagen – ohne Rücksicht darauf, ob dies die bäuerlichen Betriebe in den Zielländern ruinierte.
Die Ziele der EU-Landwirtschaft sind überholt
Obwohl die EU-Agrarpolitik seither viele Male grundlegend überarbeitet wurde und die Exportsubventionen verschwanden, ist nie ein neuer Zielkatalog vereinbart worden, der den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts entspricht. Das betrifft vor allem den enormen Einfluss der Landwirtschaft auf Umwelt und Natur, auf nachhaltige Entwicklung und globale Gerechtigkeit. Die Qualität von Böden, des Wassers und der Lebensräume für Insekten und seltene Pflanzen – all diese Themen sind untrennbar mit der landwirtschaftlichen Produktion verbunden. Umwelt-, Tier- und Klimaschutz, die Gesundheit der Menschen, die soziale Entwicklung des ländlichen Raums und globale Nachhaltigkeitsaspekte sind die großen Herausforderungen, die auf europäischer Ebene geregelt werden sollten. Dennoch spielen diese Themen bislang nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Und dies obwohl für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) stolze 38 % des gesamten EU-Budgets aufgebracht werden, was der mit Abstand größte Budgetposten der EU ist. Das sind EU-weit 58 Milliarden Euro im Jahr. Umgerechnet zahlt jeder EU-Bürger und jede EU-Bürgerin jährlich 114 Euro für die EU-Agrarpolitik.