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Neue Gentechnik
Warum wir nicht einfach nur "Neue Züchtungstechniken" dazu sagen.
Seit Anfang 2016 wird immer mehr über neue Techniken gesprochen, die es ermöglichen, die DNA von Organismen, Pflanzen, Tieren oder Menschen noch gezielter zu verändern. In der Pflanzenzüchtung will man gleich mit mehreren Methoden die DNA von Pflanzen so umbauen, dass sie bestimmte Eigenschaften entwickeln, die sie vorher nicht hatten, oder durch klassische Züchtung nicht erlangen würden.
Unterschiede zwischen Klassischer und Neuer Gentechnik
Klassische Gentechnik
Mit „Klassischer Gentechnik“ ist die bisher als (Trans-)Gentechnik bezeichnete gemeint, also jene, bei der in die DNA einer Pflanze ein oder mehrere Gene eines anderen Organismus eingeschleust werden (z.B.: ein Bakterium). Damit fördert man vor allem zwei Eigenschaften, die eine Pflanze von sich aus nicht hat: Einerseits wird sie einem bestimmten Herbizid gegenüber „unempfindlich“ und andererseits wird die Pflanze dazu gebracht, selbst ein Insektizid zu produzieren, um bestimmte Schädlinge zu bekämpfen.
Neue Gentechnik
Mit dem Begriff „Neue Gentechnik“ bezeichnet man hingegen eine ganze Reihe von gentechnischen Methoden, die allesamt dazu dienen, das Erbgut (Genom) einer Pflanze und damit ihre Eigenschaften zu verändern, ohne artfremde DNA einzuschleusen. Methoden der Neuen Gentechnik (z.B.: CRISPR/-Cas, Zinkfinger-Nuklease oder TALEN) verfolgen jedoch alle ähnliche Ziele wie die Klassische Gentechnik.
Risiken der Neuen Gentechnik
Diese „neuen“ Techniken, mit denen seit einigen Jahren experimentiert wird, verändern jedoch nicht nur das Erbgut einer Pflanze auf maßgebliche Weise, es können dabei auch unbeabsichtigte Effekte auftreten. Die Folgen für die Umwelt sind bisher nur unzureichend bis gar nicht untersucht worden. Da die Eingriffe in das Erbgut jedoch wesentlich komplexer sind als bei der Klassischen Gentechnik, könnten auch deren Auswirkungen dramatischer und unberechenbarer sein. Mehr zu den Folgen der Klassischen Gentechnik auf Umwelt und Menschen erfahren Sie hier.external link, opens in a new tab
So wie schon vor über 25 Jahren die Klassische Gentechnik, wirbt auch die Neue Gentechnik mit der Nahrungsmittelsicherheit, die sie durch resistente „Supersorten“ gewährleisten will. Gerade in Zeiten der Klimakrise, wo die Landwirtschaft mit immer häufigeren und ausgedehnteren Hitzeperioden und Starkniederschlägen zu kämpfen hat, ist das ein legitimer Wunsch. „Supersorten“, die etwa lange Zeit ohne Wasser auskommen, und dennoch prächtig gedeihen, haben bisher noch keien Marktreife erlangt. Eigenschaften wie eine solche Dürretoleranz hängen nicht von einzelnen DNA-Strängen ab, sondern beruhen auf einem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Gene mit der Umwelt. Bislang sind hier herkömmliche Züchtungsverfahren erfolgreicher.
Die Befürworter:innen der Neuen Gentechnik behaupten, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht von herkömmlich gezüchteten zu unterscheiden sind. Jedoch haben Wissenschaftler:innen bereits das Gegenteil bewiesen. Im September 2020 veröffentlichten sie die erste Nachweismethode für Pflanzen, deren Erbgut mit einem Verfahren der Neuen Gentechnik verändert wurde. Nun sollen mit Nachdruck weitere zuverlässige Nachweisverfahren entwickelt werden. Produkte der Neuen Gentechnik sollen identifiziert und quantifiziert werden können, um die Ergebnisse in einer EU-Datenbank öffentlich zugänglich zu machen.
Oft wird von der Gentechnik-Lobby auch angeführt, dass die Neue Gentechnik, allem voran die CRISPR/Cas-Methode, besonders preiswert sei und somit insbesondere klein- und mittelständischen Züchter:innen zugute kommen würde. Zwar mag die technische Durchführung selbst kostengünstig sein, allerdings werden die Kosten für benötigtes Know-how und Laborausstattung dabei nicht bedacht. Das Argument der „günstigen“ Technologie wird zudem durch umfassende Patentvergaben endgültig zerschlagen. Schon heute ist CRISPR/-Cas die maßgeblichste Biotechnologie in der Geschichte. Sowohl in der Pflanzen- als auch Tierzucht, werden auf die Verfahren selbst und deren Produkte exklusive Patente erteilt. Dadurch laufen Bäuerinnen und Bauern Gefahr, von Großkonzernen abhängig zu werden und ihre Lebensgrundlage zu verlieren.
Lesen Sie mehr dazu im Bericht "Unbekannte Generation - die Wahrheit hinter der Neue Gentechnik" von Friends of the Earth Europe.
Produkte aus Neuer Gentechnik
Trotzdem die mittels Neuer Gentechnik produzierten Pflanzen etwa in den USA ohne spezifische Risikoüberprüfung zugelassen werden, gibt es weltweit erst einige wenige, die auch tatsächlich kommerziell angebaut werden: der "herbizidresistente Cibus-Raps" und eine Sojasorte des Biotechunternehmens Calyxt, deren Öl weniger ungesunde Transfette enthält. Ein "stärkehaltiger Wachsmais“, ebenfalls aus den USA, soll demnächst auf den Markt kommen. Maisstärke kann Fertigsaucen andicken oder aber auch als Füllstoff in der Papier- und Pappeherstellung dienen. In Japan wurde im Jänner 2021 ein erster "CRISPR/-Cas-Paradeiser" zugelassen. Darin wurde der Inhaltsstoff GABBA erhöht, der blutdrucksenkend wirken soll. Unter den mit der Neuen Gentechnik erzeugten Pflanzeneigenschaften gibt es neben bestimmten Herbizidresistenzen auch veränderte Stoffwechseleigenschaften oder so genannte Knock-out-Traits, also die Fähigkeit, bestimmte Prozesse, wie etwa die Oxidation zu unterdrücken. Mit solchen Produkten sprechen die Biotechunternehmen eine zahlungskräftige Kundschaft in den reichen Industrienationen an, die bereit ist, für (vermeintlich) gesündere Produkte mehr Geld auszugeben.
Gentechnikkonzerne wollen ihre Produkte nicht kennzeichnen
Geht es nach den Gentech-Konzernen, so sollen ihre mit Methoden der Neuen Gentechnik veränderten Pflanzen nicht als gentechnisch verändert bezeichnet und demnach auch nicht als solche gekennzeichnet werden. Die Agrar-Industrie spricht lieber von "Neuen Züchtungstechniken", denn der Begriff "Gentechnik" erinnert nur zu gut an die Risiken, die auch diese neuen Technologien mit sich bringen. Doch zahlreiche rechtliche und wissenschaftliche Analysen zeigen, dass es sich sehr wohl um Gentechnik handelt, zwar nicht um die Klassische, bisher bekannte, sondern eben um eine „neue“ Form.
Die Klassische Gentechnik ist auf EU-Ebene in entsprechenden Richtlinien und Verordnungen geregelt. Solcherart hergestellte Lebens- und Futtermittel oder Saatgut unterliegen einem strengen Zulassungsverfahren und dürfen erst nach einer umfassenden Risikobewertung kommerziell vertrieben werden. Zudem müssen solche Lebens-, Futtermittel und Saatgut als "gentechnisch verändert" gekennzeichnet werden. Sollten also die Neuen Techniken auch künftig als Gentechnik eingestuft werden, müssen die Konzerne auch bei diesen Pflanzen das klassische Prozedere durchlaufen. Das kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen. So lange wollen die Unternehmen jedoch nicht auf ihren Profit warten und sie wollen auch das Risiko, dass ihre Produkte abgelehnt werden, umgehen. Lieber ihre neuen, gentechnisch veränderten Pflanzen unbemerkt auf den Markt bringen, dann weiß nämlich keiner mehr, welches Saatgut auf den Feldern ausgebracht wird, was die Tiere fressen und was in den Lebensmitteln verarbeitet wird.
Was passiert, wenn Neue Gentechnik nicht reguliert wird?
Am 25. Juli 2018 entschied der Europäischen Gerichtshof (EuGH) zugunsten von Umwelt, Landwirt:innen und Konsument:innen, dass neue gentechnische Methoden wie CRISPR/-Cas, Zinkfingernuklease oder TALEN klar unter die EU-Gentechnikrichtlinie 2001/18 fallen und Zulassungs- und Risikobewertungsverfahren durchlaufen müssen und kennzeichnungspflichtig sind. Ein Riesenerfolg und ein klares Bekenntnis zum Schutz der Umwelt. Die Freude währte jedoch nur kurz, denn bereits im November 2019 wurde die EU-Kommission mit einer Studie beauftragt, deren Ergebnis maßgeblich den zukünftigen Umgang mit Neuer Gentechnik in der EU bestimmen wird. Die zuständigen nationalen Behörden und ausgewählten Organisationen, die großteils von der Gentechnik-befürwortenden Industrie repräsentiert wurden, durften sich einbringen. Der ganze Prozess verlief äußerst undurchsichtig, sämtliche Statements wurden erst mit der fertigen Studie veröffentlicht. Ende April 2021 präsentierte die EU-Kommission ihre Ergebnisse und unsere Befürchtungen bestätigten sich: Die Sicherheitsvorkehrungen für die Neue Gentechnik sollen weitgehend entfernt werden. In Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion soll die Neue Gentechnik dereguliert werden, damit Zulassungen einfacher erlangt werden können. Insgesamt präsentiert die Kommission die Neue Gentechnik als „sichere und nachhaltige Innovation“, ohne die entsprechenden Belege dafür zu liefern. Mit dieser Einschätzung und mit der im September 2021 veröffentlichten vorläufigen Folgenabschätzung stößt die EU-Kommission einen Prozess an, in dem Schlupflöcher für die Neue Gentechnik geschaffen und so die EU-Gentechnikgesetzgebung und das Vorsorgeprinzip aufgeweicht werden können.
Jetzt liegt es in der Hand der Mitgliedstaaten, sich für Risiko- und Sicherheitsprüfungen und die Kennzeichnungspflicht für die Neue Gentechnik einzusetzen. Österreich kann hier seiner Vorreiterrolle in der EU für Gentechnikfreiheit in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gerecht werden. Mit einer Aushebelung des EuGH-Urteils gäbe es für bestimmte Verfahren der Neuen Gentechnik weder eine Risikobewertung noch eine Kennzeichnungspflicht. Landwirt:innen und Konsument:innen würden jegliche Selbstbestimmtheit verlieren.