Neue Gentechnik: Das Recht auf Transparenz ist in Gefahr
Wie wird die Kennzeichnung von Produkten der Neuen Gentechnik in Zukunft aussehen? Diese Frage ist nicht nur für Verbraucher:innen, sondern auch für Landwirt:innen, Lebensmittelverarbeiter:innen und den Lebensmitteleinzelhandel ein wichtiger Aspekt. Unsere Dachorganisation Friends of the Earth Europe und Foodwatch zeigen die Risiken der neuen Gesetzgebung in einem neuen Bericht auf.
Die EU-Kommission will neue gentechnisch veränderte Pflanzen (GV-Nutzpflanzen) von jeglicher GVO-Kennzeichnungspflicht ausnehmen. Darauf deuten Informationen über die Pläne der EU-Kommission von Mitte März 2023 hin. Enthalten Saatgut, Zutaten in der Lebensmittelproduktion und die Endprodukte selbst Neue Gentechnik? Die Landwirt:innen, die gesamte Lebensmittelkette und wir als Verbraucher:innen hätten dazu keine Informationen mehr. Neue gentechnisch veränderte Organismen (GVO) von der Kennzeichnungspflicht auszunehmen, würde das Recht der Verbraucher:innen auf Transparenz und Information aushöhlen.
Lesen Sie alle Details zu den Risiken einer Deregulierung der GVO-Kennzeichnung in Europa im neuen englischen Report von Friends of the Earth Europeexternal link, opens in a new tab und Foodwatchexternal link, opens in a new tab:
Die derzeitigen Gentechnik-Kennzeichnungsvorschriften
Die derzeitigen EU-Vorschriften zur Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) sehen folgendes vor:
Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Zutaten enthalten, müssen entsprechend gekennzeichnet werden.
So muss zum Beispiel das Endprodukt deutlich gekennzeichnet werden, wenn gentechnisch veränderter Raps für die Herstellung von Rapsöl verwendet wird. Gleiches gilt, wenn aus gentechnisch verändertem Mais Cornflakes hergestellt werden. In beiden Fällen besteht die Pflicht zur Kennzeichnung der Produkte.
Mehr als 60 GVOs sind für den Import als Lebens- und Futtermittel in die EU zugelassen. Führende Supermarktketten haben sie jedoch seit Anfang 2000 weitgehend vom Markt genommen. Zahlreiche Studien und Umfragen zeigen: Verbraucher:innen bevorzugen konventionelle, biologische oder GVO-freie Produkte, sofern sie wissen, ob ihre Lebensmittel GVO enthalten oder nicht.
Pläne der EU-Kommission zur Aushöhlung der Gentechnik-Kennzeichnung
Die Agrarindustrie fordert immer wieder, neue GVO von der GVO-Kennzeichnung auszunehmen. Sie behauptet, die meisten neuen GVO-Pflanzen seien genauso sicher wie konventionelle Pflanzen. Dass diese Ausnahme nun tatsächlich umgesetzt werden soll, zeigen die Pläne der EU-Kommission von Mitte März 2023. Das bedeutet, dass der größte Teil der neuen gentechnisch veränderten Pflanzen von jeglicher GVO-Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden soll.
Verbraucher:innen, Landwirt:innen und die gesamte Lebensmittelkette würden also nicht mehr wissen, ob das Saatgut, die Zutaten und die Endprodukte, die sie kaufen, Neue GVO enthalten oder nicht.
Konkret favorisiert die EU-Kommission zwei politische Optionen
Option 1
Die erste Option der EU-Kommission hätte eine weitgehende Deregulierung der Mehrzahl der Neuen gentechnisch veränderten Pflanzen und deren Produkte zur Folge. Sie würden lediglich einem Meldeverfahren unterliegen. Eine Kennzeichnung wäre nicht vorgesehen.
Dies hätte zur Folge:
- Verlust der Rückverfolgbarkeit in der Produktionskette
- Transparenzverlust für Landwirt:innen, Lebensmittelhersteller:innen und im Lebensmittelhandel
- die Unmöglichkeit für Verbraucher:innen, eine gut informierte Entscheidung zu treffen.
Option 2
In der zweiten Option schlägt die EU-Kommission eine Label für neue GVO-Produkte vor. Diese würde den Zweck des eingeführten Merkmals anführen - nicht aber eine klare GVO-Kennzeichnung. Gleichzeitig würden regulatorische Anreize erhalten bleiben, wenn das Merkmal "zu einem nachhaltigen Agrar- und Lebensmittelsystem beitragen kann". Dabei stellen sich viele Fragen im Hinblick auf die Irreführung der Verbraucher:innen. Eine klare Definition dessen, was „nachhaltig“ ist, hat die Kommission nämlich nicht vorgeschlagen. Selbst mit einer klaren Definition von Nachhaltigkeit ist es mehr als fraglich, ob die neuen GV-Pflanzen überhaupt dazu beitragen können.
Bei beiden Optionen oder einer Kombination von beiden werden neue GVO-Produkte nicht mehr als GVO gekennzeichnet. Neue GVO von der Kennzeichnungspflicht auszunehmen, würde nur das Recht der Verbraucher:innen auf Transparenz und Information für vollkommen hypothetische neue Märkte für Pestizid- und Saatgutkonzerne opfern.
Die Rechte der Verbraucher:innen unter Druck
Die GVO-Kennzeichnung ist für Verbraucher:innen von entscheidender Bedeutung. Nur durch die Kennzeichnung ist es möglich, Transparenz und Information über die Lebensmittel, die sie kaufen, zu gewährleisten. Wenn die auf dem Markt angebotenen Lebensmittel volle Transparenz bieten, sind Verbraucher:innen in der Lage, eine fundierte Wahl zu treffen.
In den geltenden EU GVO-Rechtsvorschriften wird in mehreren Bestimmungen betont, dass Verbraucher:innen das Recht auf verständliche und transparente Informationen haben sollen.
Dies beinhaltet
- ob das Lebensmittel GVO enthält
- ob das Lebensmittel aus GVO besteht
- ob das Lebensmittel aus GVO hergestellt worden ist
- ob das Lebensmittel Zutaten enthält, die aus GVO hergestellt wurden.
Aus diesen Transparenzanforderungen lässt sich eine umfassende Kennzeichnungspflicht für neue GVO ableiten.
Das Recht der Verbraucher:innen auf Information ist auch im Vertrag der Europäischen Unionexternal link, opens in a new tab sowie im allgemeinen Lebensmittelrecht der EUexternal link, opens in a new tab verankert.
Wenn die EU-Kommission vorschlägt, neue GVO von der derzeitigen strengen Kennzeichnungsregelung auszunehmen, würde den Verbraucher:innen dieses Recht entzogen. Sie könnten dann auf dem Markt keine informierten Entscheidungen mehr treffen. Dies wäre ein Verstoß gegen diese beiden grundlegenden EU-Gesetze.
Mangelnde Rückverfolgbarkeit in der Lebensmittelproduktionskette
Wenn Verbraucher:innen keine Lebensmittel kaufen wollen, die GVO enthalten oder aus GVO hergestellt sind, braucht es einen transparenten Informationsfluss. Hersteller:innen und Supermärkte müssen daher in der Lage sein, die erforderlichen Auskünfte und Gewährleistungen für solche Lebensmittel zu geben. Dies ist nur möglich, wenn jede Stufe der Lieferkette darüber informiert, ob sie Zutaten oder Rohstoffe verwendet, die GVO enthalten oder aus GVO hergestellt wurden. Wenn die EU-Kommission die verpflichtende Kennzeichnung für neue GVO abschafft, werden Landwirt:innen, Hersteller:innen und Supermärkte Schwierigkeiten haben, GVO-freie Lebensmittel anzubieten.
- Die Landwirt:innen werden nicht wissen, ob sie gentechnisch verändertes Saatgut verwenden.
- Die Lebensmittelhersteller:innen werden nicht wissen, ob sie gentechnisch veränderte Zutaten verwenden.
- Die Supermärkte werden nicht wissen, ob die von ihnen angebotenen Lebensmittel GVO enthalten.
- Letztendlich werden die Verbraucher:innen nicht wissen, ob sie Lebensmittel kaufen, die neue GVO enthalten oder nicht.
Die Kennzeichnung erfordert ein hohes Maß an Rückverfolgbarkeit. Nur wenn ein Etikett vorhanden ist, kann die Rückverfolgbarkeit entlang der Lebensmittelkette funktionieren und die richtigen Tests und Zertifizierungen durchgeführt werden.
Aus drei Gründen ist es wichtig, dass die bestehenden GVO-Rechtsvorschriften der EU weiterhin angewandt werden:
- Schutz der im EU-Vertrag verankerten Rechte der Verbraucher:innen auf transparente Informationen über Lebensmittel.
- Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit neuer GVO vom Saatgut bis zum Lebensmittel.
- Aufrechterhaltung der Wahlfreiheit für Landwirt:innen, Erzeuger:innen und Verbraucher:innen sowie Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit.
Eine klare Kennzeichnung ist unerlässlich, um das Recht von Landwirt:innen, Lebensmittelherstellern, Supermärkten und Verbraucher:innen zu gewährleisten, selbst zu entscheiden, was sie auf ihren Feldern anbauen, in ihren Produkten verwenden, in ihren Supermärkten verkaufen und essen wollen: