04.11.2020

Im Interview: Landschaftsarchitektin Stefanie Drlik

Es grünt so grün … in Stadt und Land. Je grüner und naturbelassener, desto vielfältiger und (arten)reicher. Und genau darum geht‘s bei unserer Initiative Nationalpark Garten, die Menschen davon überzeugt, mit der naturnahen Gestaltung von Balkon, Terrasse oder Garten zur Erhaltung der Artenvielfalt beizutragen. Projektleiter Dominik Linhard hat mit Landschaftsarchitektin Stephanie Drlik, die das Haus der Landschaft in Wien leitet, über die Gestaltungsmöglichkeiten von Naturräumen gesprochen.

Dominik Linhard: Liebe Stephanie, was können sich unsere LeserInnen unter dem Haus der Landschaft vorstellen? 

Stephanie Drlik: Fast jedeR hat irgendetwas mit Landschaft zu tun, beruflich oder privat, aber die Interessen gehen da oft sehr weit auseinander. Das Haus der Landschaft ist dazu da, landschaftsgestalterische Perspektiven zu bieten. Wir führen einen Standort in Wien, eine Onlineplattform und ein Printmagazin. 

Welche Ziele verfolgt ihr mit dem Haus der Landschaft?

Wir wollen zur nachhaltigen Landschaftsentwicklung beitragen, Bewusstsein schaffen und mit den relevanten AkteurInnen in Austausch treten, um gemeinsam etwas zu bewegen. In Österreich gibt es ja vorwiegend Kulturlandschaften, also vom Menschen geprägte Landschaftsräume. Da läuft vieles ganz gut, manches aber überhaupt nicht. Wie etwa der enorm hohe Bodenverbrauch durch ausufernde Straßen- und Siedlungsentwicklungen. Wir haben daher die Landschaftsdeklaration 2020+ ausgearbeitet und darin formuliert, wo es Veränderung braucht und wie diese aussehen kann. 

Das Thema Landschaft betrifft ja nicht nur das Land, dennoch: So richtige Landschaften gibt es ja in der Stadt eher wenige?

Landschaft ist viel mehr als die klassische Szenerie aus Wiesen, Wäldern, Bergen, Äckern und Seen. Landschaft ist Ökosystem, Lebensraum, Kultur- und Gesellschaftsraum. Natürlich gibt es auch in der Stadt Landschaftsräume, einige von ihnen sind halt nur sehr klein und nicht einmal zwingend grün. 

Aber welche ökologischen Funktionen hinsichtlich Klimakrise und Artensterben können sie dann noch erfüllen?

Gerade in der Stadt ist Landschaft zu einem erheblichen Teil künstlich geschaffen. Man denke an die neuen großen Stadtquartiere Wiens mit Parks und Außenanlagen zu mehrgeschossigen Wohnbauten. Das sind künstliche Räume aus der Hand von PlanerInnen, die jedoch, wenn sie gut sind, nach wenigen Jahren zu richtigen Lebensräumen zusammenwachsen, mit sozial und ökologisch hohem Wert.

Sind ökologische Anforderungen der Freiraumgestaltung in Städten schwieriger umzusetzen?

Eine Stadt ohne Natur bietet keine Lebensqualität. Für LandschaftsarchitektInnen ist daher der ökologische Anspruch groß, dennoch gilt es diesen mit Anforderungen bezüglich Robustheit, vielseitiger Nutzbarkeit, Erhaltbarkeit und Leistbarkeit unter einen Hut zu bekommen. Das ist oft ein harter Kampf. Aber es gehört zu unseren Aufgaben, um den Grünraum in der Stadt zu kämpfen.

Gerade in Zeiten der Klimakrise wird Natur in der Stadt immer wichtiger, zur Kühlung und damit man sich draußen aufhalten kann. Was tun die, die keinen Zugang zu Grün haben?

Wien ist laut Resonance-Ranking die grünste Großstadt der Welt, aber es gibt auch hier Bezirke wie Neubau, wo der Grünanteil bei nur zwei bis drei Prozent liegt. Wir haben also das Problem der fehlenden Grünraumgerechtigkeit. Das haben viele während des Covid-19-Lockdowns erleben müssen. Es ist gar nicht so selbstverständlich, dass man im nahen Wohnumfeld Zugang zu einer Parkanlage hat. Aber die Stadt gehört uns allen, daher müssen wir daran arbeiten, dass alle BewohnerInnen gleichermaßen Zugang zu Grün- und Erholungsräumen haben. Grün darf kein Privileg der Reichen sein. 

Mehr Natur in die Stadt zu bringen ist ja nicht nur am Boden möglich, sondern auch auf Dächern, Wänden und Fassaden. Oft hört man aber, dass letztere dadurch kaputt gehen, stimmt das?

Mag sein, dass das früher einmal so war. Heute garantieren ausgereifte Techniken und die dazugehörige Expertise für eine fehlerfreie Umsetzung. Ich bin ein großer Fan von Dachbegrünungen, weil Dächer gerade in Städten unheimlich wichtig sind: als Lebensraum für Mensch und Tier, als versickerungsfähige Oberfläche zur Nutzung von Regenwasser oder zur Energiegewinnung. 

Machen Gebäudebegrünungen auch bei Einfamilienhäusern Sinn? 

Natürlich, sie sind ja nicht nur ökologisch wertvoll, sondern sehen auch richtig gut aus. Mein Tipp dabei: sich damit an Profis zu wenden, etwa an die Plattform GrünStattGrau aus unserem Netzwerk. Da beschäftigt man sich ausschließlich mit Gebäudebegrünung und bringt PlanerInnen mit InteressentInnen zusammen. Grün und naturnah ist also überall gut und wichtig, unabhängig von Stadt oder Land, Einfamilienhäusern oder Wohnhausanlagen. Es ist ein enorm wichtiger Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt und zum Klimaschutz.