20.04.2023

Biodiversitätsforschung warnt: Heimische Wildbienen und Blütenpflanzen bedroht

Biodiversitätsforscher:innen warnen bei einem Pressegespräch der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Österreich (ZooBot) vor einem Rückgang der biologischen Vielfalt. Bei der UN-Biodiversitätskonferenz (COP 15) wurde es als “das größte Artensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier” bezeichnet. Politik muss jetzt Verantwortung übernehmen!

Die Vielfalt der heimischen Wildbienen sowie Farn- und Blütenpflanzen nimmt stetig ab – mit dramatischen Folgen für das Leben auf unserem Planeten. Mit dem EU-Naturschutzpaket liegen zwei konkrete Gesetzesvorschläge zur Pestizidreduktion (Sustainable Use Regulation (SUR)) und Wiederherstellung der Biodiversität (Nature Restoration Law (NRL)) auf dem Tisch.

"Nun ist die Politik gefordert, die vorgeschlagenen Maßnahmen rasch und entschlossen umzusetzen und das rasante Artensterben zu bremsen", fordern der Wissenschafter des Jahres 2022 und Ökologe Franz Essl, die Botanikerin Luise Schratt-Ehrendorfer, der Wildbienenforscher Heinz Wiesbauer, der GLOBAL 2000 Umweltchemiker Helmut Burtscher-Schaden und die Evolutionsbiologin Elisabeth Haring von ZooBot.

Artensterben beschleunigt sich

Wissenschaftler:innen schätzen, dass es auf der Erde zwischen 10 und 100 Millionen Tier- und Pflanzenarten gibt. Knapp ein Drittel aller weltweit untersuchten Tiere und Pflanzen sind auf der aktuellen Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) als gefährdet eingestuft. Hier wurde allerdings nur ein kleiner Teil der bisher bekannten Spezies bewertet, daher liegen die tatsächlichen Zahlen wohl weitaus höher.

Weitreichende globale Maßnahmen zum Schutz der Natur wurden bei der UN-Biodiversitätskonferenzexternal link, opens in a new tab im Dezember 2022 beschlossen. "Diese Maßnahmen haben das Potenzial, eine echte Trendwende einzuleiten. Doch Bekenntnisse alleine genügen nicht. Um das vom Menschen verursachte Artensterben einzudämmen, braucht es Taten", so Franz Essl, Ökologe an der Universität Wien.

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"Der rasante Rückgang der Arten zeigt, dass wir unsere Ökosysteme übernutzen und zerstören. Dabei brauchen wir, nicht zuletzt, um für alle Menschen Nahrungsmitteln erzeugen zu können, intakte Böden und ausreichende biologische Vielfalt."

Franz Essl, Ökologe an der Universität Wien

37 % der heimischen Farn- und Blütenpflanzen gefährdet

1.274 (das sind 37 %) von 3.462 heimischen Arten stehen auf der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzenexternal link, opens in a new tab. Im Konkreten heißt das:

  • 66 Arten sind ausgestorben bzw. verschollen
  • 235 Arten sind vom Aussterben bedroht
  • 369 Arten sind stark gefährdet
  • 488 Arten sind gefährdet
  • 116 Arten sind in unbekanntem Ausmaß gefährdet

304 Arten befinden sich in der Vorwarnstufe – bei anhaltendem Rückgangstrend müssen auch sie in naher Zukunft als gefährdet eingestuft werden!

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"Diese Zahlen der Roten Liste zeigen, dass das Artensterben vor Österreich nicht Halt macht."

Luise Schratt-Ehrendorfer, Botanikerin

Mindestens 37 Wildbienenarten nicht mehr nachweisbar

Österreich ist in Bezug zu seiner Größe ein relativ artenreiches Land. Mit 707 Wildbienenarten und 4.070 Schmetterlingsarten übertrifft es die Zahlen Deutschlands und anderer deutlich größerer Länder. Die hohe Artenzahl resultiert in Österreich aus der landschaftlichen Vielfalt und der Überschneidung zweier Klimagebiete. Doch die Wildbienen sind, aufgrund von Lebensraumveränderungen, massiv bedroht!

Während die Neuausbreitung von Arten recht einfach nachvollziehbar ist, lässt sich das Verschwinden kaum nachzeichnen. Populationen werden stetig kleiner und erlöschen dann plötzlich. Während der letzten fünf Jahrzehnte konnten in Österreich mindestens 37 Wildbienenarten nicht mehr nachgewiesen werden. Sie gelten als ausgestorben. Würde man bei dieser Bilanz auch aktuelle Entwicklungen wie die voranschreitende Bodenversiegelungen berücksichtigen, so wäre die Zahl deutlich höher anzusetzen. (vgl. Wiesbauer, H. (2023). Wilde Bienen (3. Auflage). Ulmer Eugen Verlag.)

Schützen Sie bedrohte Arten – unterstützen Sie unseren Einsatz gegen Pestizide mit einer Spende und wir schicken Ihnen die Vielfalt der Wildbienen für Ihr Wohnzimmer!

Nistplätze und Blütenangebot erforderlich

Wildbienen sind besonders bedroht, da sie hohe Lebensraumansprüche aufweisen. Damit ein wertvoller Lebensraum gegeben ist, müssen ausreichend Nistplätze und ein entsprechendes Blütenangebot in erreichbarer Distanz vorhanden sein.

Je nach Art brauchen Wildbienen unterschiedliche Nistplätze. So unterscheiden sich die Nistplätze:

  • 50 % der heimischen Wildbienenarten nisten in selbst gegrabenen Gängen im Boden
  • 3 % nisten in selbst genagten Gängen in markhaltigen Pflanzenstängeln oder morschem Holz
  • 19 % nisten in bestehenden Hohlräumen
  • 1 % der Arten bauen frei stehende Nester aus Pflanzenharz oder mineralischem Mörtel

(vgl. Wiesbauer, H. (2023). Wilde Bienen (3. Auflage). Ulmer Eugen Verlag.)

Durch die „Ausräumung“ der Landschaft wurden Kleinstrukturen wie unbefestigte Erdwege, Hohlwege, Ackerstufen, Steilböschungen, Trockenmauern und offene beziehungsweise schütter bewachsene Bodenstellen beseitigt!

Skabiosen Hosenbiene, Weibchen

Heinz Wiesbauer

Skabiosen Hosenbiene, Weibchen

34 % von den nestbauenden Wildbienenarten sammeln Pollen ausschließlich oder stark bevorzugt auf einer einzigen Pflanzengattung oder -familie (wie etwa die Seidenbiene Colletes graeffei auf Gelb-Lauch, die Mauerbiene Osmia mocsary auf Gelb-Lein).

Dies birgt Gefahren: Wird eine Wiese mit einer seltenen Pflanzenart zu einem ungünstigen Zeitpunkt gemäht, kann dies zum Aussterben einer darauf spezialisierten Biene führen”, erklärt Wildbienenforscher und Buchautor Heinz Wiesbauer. (vgl. Wiesbauer, H. (2023). Wilde Bienen (3. Auflage). Ulmer Eugen Verlag.)

Die Bestäubungsleistung einer arten- und individuenreichen Wildbienenpopulation ist für die Landwirtschaft und den Gartenbau von unschätzbarem Wert. Leider gibt es, aufgrund der intensiven Nutzung der Landschaften, kaum mehr Futterpflanzen.

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"Die Lebensraumverluste, der Pestizid- und Düngemitteleinsatz, der Rückgang bunter Wiesen und die Klimaerhitzung machen den Wildbienen aber extrem zu schaffen. Würde man die Kriterien der Roten Liste heranziehen, wären rund die Hälfte aller heimischen Wildbienen-Arten in irgendeiner Art gefährdet."

Heinz Wiesbauer, Wildbienenforscher

Verbindlicher Schutz der Artenvielfalt unumgänglich

GLOBAL 2000-Umweltchemiker Helmut Burtscher-Schaden verweist auf den Europäischen Green Deal, der ein Bündel an Maßnahmen zur Eindämmung des Biodiversitätsverlustes beinhaltet.

Derzeit werden die Gesetzesvorschläge zur Reduktion von Pestiziden und die Wiederherstellung der Biodiversität im EU-Parlament und im Rat verhandelt. Die EU-Kommission hat jüngst in der offiziellen Antwort an unsere Europäische Bürgerinitiative "Bienen und Bauern retten" zu rascher und ambitionierter Umsetzung aufgerufen!

Leider zählt Österreich zu einer Gruppe von fast ausschließlich osteuropäischen Staaten, die den Gesetzgebungsprozess zu verzögern und zu verwässern versuchen!

Foto von Helmut Burtscher-Schaden

"Angesichts eines beschleunigten Artensterbens appellieren wir an das politische Gewissen von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Umweltministerin Leonore Gewessler und Gesundheitsminister Johannes Rauch sowie an alle österreichischen Abgeordneten im EU-Parlament: Stellen Sie sicher, dass Österreich seine Blockadehaltung beendet und tragen Sie zu einer raschen Umsetzung des EU-Naturschutzpakets bei!"

Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker bei GLOBAL 2000