26.05.2023

Flucht aus dem Krieg: Oksanas Familie findet Unterstützung und Stabilität in Österreich

Seit mittlerweile über einem Jahr lebt Oksana mit ihren beiden Kindern im niederösterreichischen Ybbs. Im Rahmen des Familienprogramms betreut GLOBAL 2000 die Familie nun auch fernab ihrer Heimat der Ukraine. Projektleiterin Lidiia Akryshora hat die drei besucht und mit ihnen über ihre Erfahrungen in Österreich gesprochen.

Oksana mit ihren beiden Kindern vor einem Berg

privat

Im Jahr 2016 war GLOBAL 2000 wieder einmal auf Lokalaugenschein in der Ukraine und lernte dabei in dem von uns betreuten Krankenhaus Nr. 16 in Kharkiv den leukämiekranken kleinen Denys und seine Familie kennen. Seither unterstützen wir die Familie bei der langwierigen Behandlung der Krebserkrankung des Buben samt aller begleitenden medikamentösen und therapeutischen Maßnahmen.

Evakuierung aus der Ukraine

Viele Hochs und Tiefs haben schlussendlich zu seiner Remission geführt: Denys gilt nun als geheilt, bedarf aber weiterhin regelmäßiger Screenings und Analysen. Und die bekommt er auch. Allerdings nicht mehr in seiner Heimat Ukraine, sondern hier in Österreich, im Krankenhaus Ybbs und im St. Anna Kinderspital in Wien. Ende März 2022 haben wir bei der Evakuierung der Familie aus dem Kriegsgebiet geholfen und Oksana und ihre beiden Söhne in Ybbs untergebracht.

Interview mit Oksanas Familie

Lidiia Akryshora: Du bist mit deinen Söhnen Denys und Igor nun schon seit über einem Jahr hier in Österreich. Wie geht es euch?

Oksana: Wir hätten nie gedacht, dass wir so lange bleiben würden. Und wir warten nach wie vor jeden Tag darauf, dass wir wieder nach Hause zurück können. Zu meinem Mann, zu unserer Familie, in unsere Heimat. Aber es geht uns gut. Die Menschen hier sind unglaublich hilfsbereit. Ich wüsste nicht, was ich ohne die viele Unterstützung getan hätte.

Wie geht es euch mit eurem Deutsch, beziehungsweise wie klappt die Verständigung?

Denys spricht wirklich schon sehr gut. Die Schule ist unglaublich hilfreich. Immerhin hat er hier gar keine andere Wahl, als deutsch zu sprechen, im Unterricht oder in der Pause, wenn er mit seinen neuen Freunden zusammen ist. Auch Igor macht im Kindergarten große Fortschritte. Ich selbst plage mich ein wenig. Das Problem ist, dass es hier in der Nähe keine Deutschkurse gibt und neben Arbeit und Kindern bleibt mir keine Zeit, irgendwo hinzufahren. Aber ich bemühe mich, so gut es geht, selbständig weiterzukommen. Je älter man ist, desto schwerer ist es, eine neue Sprache zu erlernen. Die Kinder tun sich da wesentlich leichter.

Wie geht es dir in der Schule, Denys?

Denys: Ich habe schon Freunde gefunden und auch die Frau Direktorin ist so nett zu mir. 
Sie hat gesagt, wenn ich die Hausaufgaben nicht schaffe, soll ich zu ihr kommen und wir machen sie gemeinsam. Wenn ich etwas nicht verstehe, gehe ich zu ihr und sie erklärt es mir. Ich mag die Schule hier, alle sind so lieb.

Wie kommst du damit klar, dass du so plötzlich aus deinem Umfeld gerissen wurdest?

Oksana: Es war wirklich sehr herausfordernd, plötzlich keine Verwandten oder Freunde mehr um uns zu haben. Ich war auf einen Schlag allein und völlig auf mich gestellt, was den Umgang mit den traumatischen Erfahrungen meiner Kinder anging. In gewisser Weise musste ich für Denys und Igor plötzlich alles sein: nicht nur die Mama, sondern auch der Papa, die Oma, der Opa, die Freundin, die Lehrerin. Das war wirklich schwer.

Was hat dir am meisten geholfen, in dieser Situation nicht den Mut zu verlieren?

Die Menschen hier um uns herum: in Kindergarten, Schule, Arbeit, unsere Vermieter. Sogar zum Skifahren haben sie uns einmal mitgenommen. An den Geburtstagen gratulieren sie uns, zu den Feiertagen erkundigen sie sich, wann unsere ukrainischen Feste sind und wie wir diese begehen. Sie kümmern sich wirklich rührend um uns.

Und was ist am schwierigsten für dich?

Von meiner Familie getrennt zu sein. Hier in Sicherheit zu leben und zu wissen, dass all deine Lieben in der Ukraine jederzeit in Lebensgefahr schweben. Zu sehen, wie sich die Kinder bei einem Feuerwerk oder einer Sirenenprobe schreiend unter dem Bett verstecken. Ihnen emotionale Stabilität zu geben, während du selbst noch mit Erinnerungen an die schrecklichen Erlebnisse kämpfst. 

Hast du regelmäßig Kontakt zu deinen Leuten in der Ukraine?

Natürlich, mit meinem Mann täglich und auch mit meinen Eltern. Ich habe solche Sehnsucht nach Hause. Auch mit meinen Verwandten und Freunden habe ich Kontakt. Aber das ist gar nicht so leicht. Wie gehst du mit einer Freundin um, die ihren Sohn im Krieg verloren hat? Wie sprichst du es an? Wie zeigst du ihr dein Mitgefühl? Ich leide mit allen mit, obwohl ich hier in Sicherheit bin.

Meinst du, dass du dich trotz aller lieben Menschen hier oft alleine fühlst?

Ja, das ist so. Wir leben hier im Frieden, alles geht seinen Lauf: Kindergarten, Schule, Arbeit, Freizeit. Alles scheint gut zu sein, aber in Wirklichkeit ist gar nichts gut. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen hier zu sein. Aber dann sage ich mir immer wieder, dass ich es den Kindern zuliebe tun musste. Gerade nach Denys schwerer Krankheit brauchen meine beiden Buben jetzt möglichst viel Sicherheit und Stabilität. Ich will ihnen eine halbwegs unbeschwerte Kindheit schenken. 

Zu letzteren gehören Spiel und Spaß mit Gleichaltrigen. Freust du dich, dass Denys und Igor heuer im Sommer an den Erholungsaufenthalten von GLOBAL 2000 teilnehmen können?

Ja, das ist wirklich ein großes Glück. Wir freuen uns alle drei wahnsinnig darauf und können es gar nicht mehr erwarten. Wie ich erfahren habe, gab es corona- und kriegsbedingt eine dreijährige Pause. Umso mehr bin ich jetzt dankbar, dass die Erholungsaktion heuer wieder stattfinden kann und meine Buben dabei sein dürfen. 

Du hast dich bereit erklärt, bei der Organisation mitzuwirken?

Ja, ich werde beim Erholungsaufenthalt für die krebskranken Kinder, der traditionell in Ybbs stattfindet, unterstützen. Was immer gebraucht wird: Ich kann bei der Betreuung der Kinder helfen und mit ihnen spielen. Und mit seinen guten Deutschkenntnissen kann auch Denys schon mithelfen, indem er übersetzt. Außerdem wird er seine behandelnde Ärztin aus Kharkiv wiedersehen, die als Begleitperson mitkommt. Liudmyla Marenych ist für uns in den langen Jahren seiner Krankheit zum Familienmitglied geworden. Und ich will für die ukrainischen Kinder genauso da sein, wie Liudmyla es für uns war und wie die Menschen hier in Österreich es heute für uns sind.

Unsere Erholungsaufenthalte

Seit 1996 laden wir jedes Jahr etwa 150 Kinder und ihre Betreuer:innen zu uns nach Österreich ein. Es handelt sich um Kinder, die aufgrund einer Krebserkrankung gerade eine Chemotherapie hinter sich haben oder an einer anderen Erkrankung leiden und um (Sozial-)Waisen. Mit Ihrer Unterstützung und der Mithilfe von bisher 37 österreichischen Gemeinden und zahllosen engagierten ehrenamtlichen Helfer:innen konnten wir bis einschließlich 2019 bereits 2.765 Kinder zu uns nach Österreich einladen. 

Zwischen 2020 und 2022 mussten wir unser Programm pandemie- und kriegsbedingt aussetzen. Umso mehr freuen wir uns jetzt, dass wir erstmals wieder Kinder bei uns begrüßen dürfen. Zwar nicht so viele wie vor dem Krieg, aber immerhin 30 Buben und Mädchen, die sich wieder drei Wochen lang von den Strapazen ihrer Krankheiten und des Kriegsalltags bei uns erholen und Kraft tanken dürfen.

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrer Spende:

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