Das slowakische Atomkraftwerk Mochovce liegt 100 km von der österreichischen Grenze entfernt. Zu dem 40 Jahre alten AKW sollen nun zwei "neue" Reaktoren in Betreib genommen werden. 

In den 70er-Jahren entschloss sich die damals noch kommunistische Tschechoslowakei zum Bau von vier Atomreaktoren des alten sowjetischen Typs WWER 440/213. Baubeginn für die knapp 100 Kilometer von Österreich entfernten Reaktoren war bereits 1985. Nach der Wende wurde der Bau der teil-fertiggestellten Anlagen 1993 aus marktwirtschaftlichen Gründen eingestellt. Nach Unterbrechungen im Bau nahmen 1998 und 1999 zwei Reaktoren ihren kommerziellen Betrieb auf. Die Blöcke 3 und 4 blieben nahe der slowakischen Ortschaft Mochovce als Bauruinen stehen.

Angaben zu den Reaktoren sowie Zwischenfälle und Störfälle des AKW Mochovce finden Sie hier: Atomkraft in der Slowakei

Reaktoren aus den 1970ern für das 21. Jahrhundert?

2008 wurde der Weiterbau der mittlerweile völlig veralteten, eingemotteten Reaktoren 3 und 4 beschlossen. Die Fertigstellung verzögert sich seit vielen Jahren, denn geplant war die Inbetriebnahme für 2012. Die Kosten explodierten aufgrund von massivem Missmanagement. Von ursprünglich vorgesehenen Investitionen in der Höhe von 2,8 Milliarden Euro stiegen die Ausgaben auf zuletzt 6,2 Milliarden Euro. Laut Informant:innen kommt es immer wieder zu technischen Problemen und Unfällen auf der Baustelle, im Jahr 2015 starb ein Arbeiter.

Die alten Reaktoren sind nicht auf dem Stand der heutigen Technik

  • Ein Volldruck-Containment, das im Falle einer Kernschmelze den Austritt von großen Mengen radioaktiver Stoffe aufhalten könnte, fehlt.
  • Die Erdbeben-Auslegung der Anlage ist ebenso unzureichend.
  • Genauso unzureichend ist der Schutz beim Absturz von großen Flugzeugen sowie vor terroristischen Angriffen.
  • Eine entsprechende sicherheitstechnische Nachrüstung der Anlagen ist schwierig bis unmöglich. Die zusätzliche vorzeitige Alterung der über 16.000, in den 1990er Jahren eingemotteten, Anlagenteile macht die "neuen" Reaktoren 3 und 4 noch problematischer. 

AKW Mochovce nur 100 km von der österreichischen Grenze

Das Atomkraftwerk Mochovce liegt nur 100 km von der österreichischen Grenze entfernt - im Falle eines schweren Störfalls oder Unfalls kennt Radioaktivität ohnehin keine Grenzen. GLOBAL 2000 intervenierte bei der EU-Kommission, protestierte mit Aktionen und klagte gemeinsam mit anderen Organisationen vor dem slowakischen Verwaltungsgerichtshof: Mit Studien konnten wir belegen, dass Österreich ein Recht auf eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) hat. Nach massiven Protesten von GLOBAL 2000 und anderen Organisationen stieg die Erste Bank aus der Finanzierung des AKW Mochovce aus. 2010 schloss die Slowakei einseitig das laufende Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren zu Mochovce 3 und 4 ab, ohne die von Österreich eingebrachten Sicherheitsfragen vollständig zu beantworten.

Geschwärzte Dokumente - klarer Verstoß gegen internationales Büger:innenbeteilungungs-Recht

Nach Protest der österreichischen Bundesregierung sagte die damalige slowakische Regierung eine weitere UVP mit transparenter Offenlegung der technischen Bedingungen vor Inbetriebnahme der Reaktoren zu – diese ist jedoch bis heute nicht durchgeführt worden. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit bei der Inbetriebnahme gab es dann auch. Von transparenter Offenlegung der technischen Daten konnte aber nicht die Rede sein. Seitenweise geschwärzte Einträge machten eine professionelle Bewertung unmöglich. Wir boten der Bevölkerung mit der Veröffentlichung der Originaldokumente auf unserer Website die Möglichkeit, sich selbst eine Meinung zu bilden. Zusammen mit Unterstützung aus Österreich (Windkraft Simonsfeld) und einer slowakischen Jurist:innen-Organisation klagten wir 2017 auf Herausgabe der ungeschwärzten Dokumente. Das Verfahren ist noch immer am Laufen.

Mochovce bei Flugzeug-Absturz nicht ausreichend gesichert

In der Nähe des slowakischen Atomkraftwerks verlaufen mehrere Flugrouten. Der Hochrisikoreaktor ist bei einem Verkehrsflugzeug-Absturz nicht ausreichend gesichert, er ist maximal auf den Aufprall eines kleinen (Sport-)Flugzeugs ausgelegt. Wir sehen keine Gründe, warum in der Slowakei das Risiko eines absichtlichen oder zufälligen Aufpralls eines großen Verkehrsflugzeugs geringer sein sollte als in anderen Regionen der Welt. So sieht die tschechische Gesetzgebung den Sicherheitsnachweis gegen eine unrechtmäßige Verwendung eines Verkehrsflugzeugs vor. Die slowakische Atomaufsicht UJD betonte zwar, dass im Ernstfall „adäquate Maßnahmen“ - sprich militärische Verteidigung des Atomkraftwerks - durchgeführt würden. Deren Details sind aber aufgrund der Terrorgefahr geheim. Wie auf gängigen Internetseiten ersichtlich, sind direkte Vorbeiflüge von Verkehrsflugzeugen am Atomkraftwerk Mochovce üblich. Die Reaktionszeit ist also nicht ausreichend für militärische Einsätze.

Schwerwiegende Baumängel mehrmals bestätigt

Im Herbst 2018 bestätigt ein geleakter Bericht der Vereinigung der Betreiber von Nuklearanlagen (WANO) grobe Sicherheitsmängel auf der Baustelle der Reaktoren 3 & 4. Beteiligte Bauingenieure warnen bereits seit Jahren davor. Aufgrund der Enthüllungen von GLOBAL 2000 und mehreren Whistleblowern kam es im Herbst zu einer internationalen Überprüfung der Anlage. Die Prüfberichte wurden erst nach mehreren Rechtsschritten durch GLOBAL 2000 von Betreibergesellschaft zur Veröffentlichung freigegeben: sie zeigten ein vernichtendes Bild der mangelhaften Sicherheitskultur auf der Baustelle knapp vor der geplanten Inbetriebnahme, 22 Problemfelder mit mehreren dutzend Beispielen und vielen Verbesserungsnotwendigkeiten wurden aufgelistet.

Ende November 2019 bestätigte ein leitender Ingenieur der Betreibergesellschaft erstmals gegenüber GLOBAL 2000, dass bei den Bauarbeiten wichtige Rohrleitungen im Mochovce-Reaktor beschädigt wurden. Darunter Notkühlleitungen direkt neben dem Reaktordruckbehälter. Da über 250.000 Löcher in die hermetischen Kammern gebohrt wurden, ist eine vollständige Offenlegung und Plausibilitäts-Prüfung aller Bohr-Protokolle durch ein internationales Prüfer-Team gefordert. Die vorgelegte Dokumentation ist nicht vertrauenswürdig, wie auch ein Statik-Ingenieur bestätigt.

Laufend berichten uns mehrere Whistleblower, teils hochrangige Ingenieure mit jahrzehntelanger Erfahrung im Bau und Betrieb von Atomkraftwerken, von immer neuen Pannen, fehlerhaften Bauarbeiten unter mangelnder Kontrolle des Managements und der slowakischen Atomaufsicht. Außerdem wurden schwerwiegende Problemen offengelegt: zuletzt mussten 454 Kilometer (!) beschädigte und mangelhafte Signalkabel ausgewechselt werden. Diese haben aufgrund von Interferenzen beim „Heißtest“ der Anlage 2019 verhindert, dass Anlagen angesteuert werden konnten.

Im Herbst 2018 (wahrscheinlich November) wurden Tests der Notstrom-Dieselgeneratoren des AKW Mochovce 3-Bauprojekts durchgeführt. Uns wurde ein Video zugespielt, dass das Versagen eines der sechs Generatoren während dieser Tests zeigt. Nach Analyse von Mario Zadra hatte der Notstrom-Generator bereits bei einem früheren Test einen Kurzschluss. Offenbar wollten die bauführenden Ingenieure ihn nicht reparieren lassen und versuchten ihn dennoch in Betrieb zu nehmen. Die Ingenieure des AKW-Betreibers gaben beim GLOBAL 2000-Lokalaugenschein Ende November 2019 zu, dass genau dieser Generator bei einem Test einen spontanen Kurzschluss hatte und deshalb die Stator-Wicklung ersetzt wurde. Allerdings wurde die Lebenszeit von fünf weiteren gleichaltrigen Generatoren einfach um 40 Jahre verlängert, und das ohne Generalüberholung.

AKW Mochovce 3: Explosion in Notstromgenerator

 

Betriebserlaubnis für Mochovce 3 wurde 2022 erteilt

Der Entwurf der Betriebserlaubnis für den Reaktorblock 3 in Mochovce wurde Mitte Mai 2021 veröffentlicht.In Zusammenarbeit mit kritischen Ingenieuren, die früher am Mochovce-Projekt gearbeitet haben oder noch immer am Bau beteiligt sind und jetzt als Whistleblower vor der Inbetriebnahme warnen, haben wir Einspruch eingelegt.

Im Jänner 2022 entschied die slowakische Atomaufsicht ÚJD, dass der Einspruch von GLOBAL 2000 abgelehnt wird. Im August 2022 wurde dann die finale Betriebserlaubnisexternal link, opens in a new tab erteilt, ohne dass die schwerwiegenden Vorwürfe der Ingenieure ausgeräumt wurden:

Was noch alles an technischen Mängeln in dem vom sowjetischen Bautyp her völlig veralteten und zusätzlich durch absichtliche (Korruption oder Sabotage) und unabsichtliche Baumängel geschwächten Reaktor vorliegt weiß niemand, da die slowakische Atomaufsicht weiterhin nur Stichprobenprüfungen anordnet und keine umfassende Prüfung aller Bauteile.

Im Februar und nochmals November 2022 haben wir die vertuschten Mängel und das fahrlässige Handeln der Atomaufsicht bei der slowakischen Kripo zur Anzeige gebracht. 

Netzanschluss von Reaktor 3

Die unter enormem wirtschaftlichen Druck stehende überschuldete Betreibergesellschaft Slovenské elektárne vermeldete Anfang 2023 einen Schritt weiter bei der Inbetriebnahme: Ende Februar wurde Reaktor 3 auf 20 % Leistung gebracht und erstmals ans Netz angeschlossen.

Die tatsächliche Stromversorgung durch Mochovce 3 ist aber noch ein weites Stück hin, wie der Konzern auch selbst zugibt. Zunächst müssen weitere Tests des seit Jahrzehnten eingemotteten Sekundärkreislaufs gemacht werden und der Reaktor auf 30 bis 100 Prozent Leistung gebracht werden. Ein Beispiel für Probleme dabei war das Versagen einer Karbon-Nickel-Dichtung im Kernstück des AKW im Oberteil des Reaktordruckbehälters Ende 2022. Erst als diese hastig repariert wurde, konnte das Testprogramm fortgesetzt werden.

Erst wenn dann wieder das jeweilige Bauteil ausfällt, wird man sehen, was noch alles im Keller des AKW Mochovce schlummert. Ob es vergleichsweise harmlos ist oder zu einer Notabschaltung führt – oder zu schlimmerem. Dieses Vorgehen ist inakzeptabel in einem AKW, das halb Mitteleuropa verstrahlen kann.

Mochovce – wie geht‘s weiter mit dem Schrottreaktor

GLOBAL 2000 wird in den nächsten Jahren auch weiterhin zum AKW Mochovceexternal link, opens in a new tab arbeiten, um die immer wieder auftretenden Vorfälle auf der Reaktor-Baustelle ans Tageslicht zu bringen und bei der slowakischen Kripo anzuzeigen – und damit für Kontrolle und Sicherheits-Upgrades zu sorgen. Wir werden auf die laufenden Zwischenfälle und Störfälleexternal link, opens in a new tab beim Betrieb der Reaktoren aufmerksam machen, so wie bei allen Atomkraftwerken in Europa.

Reform der nationalen Atomaufsichten nötig

Im Fall Mochovce zeigt sich erneut, dass die eigentlich als Wachhund vorgesehene nationale Atomaufsicht ÚJD laufend als Schoßhund des nationalen Atomkonzrens Slovenské elektrárne agiert und die Hand nicht beißt, die sie füttert.

Eigentlich sollten durch die EU-Richtlinie zur Nuklearen Sicherheit (2014/87/EURATOMexternal link, opens in a new tab) wesentliche Standards der Aufsichten in Europa gewährleistet werden. Gleichzeitig akzeptiert diese Richtlinie in vielen Fällen Doppelstandards: So müssen Atomreaktoren, deren Baubeginn vor dem 14. August 2014 lag, – wie Mochovce – wesentlich geringere Sicherheits-Standards, etwa zur Notfallbeherrschung einhalten. Gleichzeitig hat die EU kein Durchgriffsrecht im Falle von groben Regelverstößen – die Genehmigung oder der Entzug von Betriebserlaubnissen ist und bleibt Sache der nationalen Atomaufsichten.

Wir fordern die österreichische Bundesregierung auf...

  • das Problem-AKW Mochovce zur Chefsache zu machen, wie es im Regierungsprogrammexternal link, opens in a new tab vorgesehen ist.
  • das Thema umgehend bei der Vereinigung der Europäischen Aufsichtsbehörden ENSREG einzubringen
  • sich mit Reformvorschlägen an die EU-Kommission zu wenden